Damit im Unterricht fachliches und sprachliches Lernen gleichzeitig stattfinden, gestalten Lehrpersonen ihren Unterricht sprachbewusst. Dazu überlegen sie bereits bei der Planung, welche sprachlichen Anforderungen eine Unterrichtssequenz enthält. Indem sie den Wortschatzaufbau gezielt aufbauen und didaktische Unterstützung bieten, ermöglichen sie allen Kindern, diese Anforderungen zu bewältigen und fachlich zu lernen. Im Folgenden zeigen wir die Planung und Umsetzung einer Unterrichtssequenz zum Thema Luft in einer 3. Klasse.

Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 1, 2 und 3

Beschreibung der Idee

Ein Teelicht, bestückt mit Watte und Gummibärchen, schwimmt in einem Wasserbecken. Ein Junge drückt das Teelicht behutsam mit einem umgedrehten Becher ins Wasser, bis auf den Grund. Dann lässt er es – immer noch im Becher – wieder nach oben schweben. Als er den Becher entfernt, sind die Gummibärchen immer noch trocken. Zauberei oder physikalische Erklärung?
 

Die Schülerinnen und Schüler führen noch weitere Experimente dieser Art durch. Ziel ist, dass sie Erkenntnisse zum Element Luft gewinnen: Luft braucht Platz, Luft kann man zusammenpressen und Luft bewegt. Luft hat ein Gewicht. Luft bremst etc. Anhand der Experimente werden die Schülerinnen und Schüler zudem mit dem Ablauf eines Forschungsprozesses vertraut: Forschungsfrage formulieren, Vermutungen anstellen, überprüfen, berichten. Damit sie die Experimente ausführen und ihre Erkenntnisse beschreiben können, sind sie auf Fachwortschatz angewiesen. Zudem müssen sie wissen, wie sie Vermutungen formulieren und begründen. Und schliesslich müssen sie lernen, Beobachtungen zu formulieren. Es handelt sich um sogenannte bildungssprachliche Kompetenzen (vgl. Gelingensbedingungen), die die Lehrpersonen den Schülerinnen und Schülern vermitteln müssen und nicht voraussetzen können.

Planung


Damit sich die Lehrpersonen darüber bewusst sind, welche sprachlichen Anforderungen die geplante Unterrichtseinheit enthält, füllen sie einen Planungsrahmen aus (vgl. bei Gelingensbedingungen und Material). Sie überlegen, welche Aktivitäten sie mit der Klasse durchführen, welche rezeptiven und produktiven Sprachhandlungen dabei erfolgen und welches Vokabular sowie Redemittel die Schülerinnen und Schüler dafür brauchen. Auch überlegen sie, welche bildungssprachlichen Kompetenzen sie in dieser Unterrichtseinheit fördern. Um sich über das benötigte Vokabular bewusst zu werden, erarbeiten sie ein Wortfeld, bei dem sie zwischen den Wortarten unterscheiden und das auch Redemittel oder ganze Sätze enthält.

Wortfeld Thema Luft. Aufnahme Dominique Braun
Wortfeld Thema Luft. Aufnahme Dominique Braun

Wortschatzarbeit


Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie Lehrpersonen Wortschatz aufbauen können. Im Folgenden beschreiben wir zwei Möglichkeiten, die auf ganze Sätze bzw. Redemittel fokussieren und nicht auf einzelne Wörter.
 

Merksätze als Ostinato

Damit die Schülerinnen und Schüler die wichtigsten Erkenntnisse möglichst in Erinnerung behalten, notieren die Lehrpersonen Merksätze: Luft braucht Platz. Luft kann man zusammenpressen. Luft hat Gewicht. Luft bremst. Die Luft kann bewegen. Wie ist es möglich, dass sich die Schülerinnen und Schüler diese Sätze einprägen, ohne dass es zu einem langweiligen Auswendiglernen wird? Die DaZ-Lehrerin entscheidet sich für ein Ostinato (einen Sprechgesang) (vgl. auch bei Material). Sie integriert die Sätze in verschiedene Rhythmen und legt die einzelnen Satz-Rhythmen übereinander. In kleinen Gruppen übt sie diese ein – durch Sprechen, Stampfen, Klatschen und Umhergehen. Nachdem alle Gruppen die Satz-Rhythmen beherrschen, versuchen sich die Kinder und Lehrpersonen im Klassenverband. Weil es Spass macht, beim Sprechen umherzugehen und dies viel Platz braucht, spielen sie den Sprechgesang auch in der Turnhalle wiederholt durch (vgl. Audioaufnahme bei Materialien und Links)
 

Redemittel in Kurzgeschichten

Bei einigen Experimenten müssen die Schülerinnen und Schüler für ihre Erklärungen Sätze mit «je desto» bilden können: Je grösser der Fallschirm ist, desto langsamer gleitet er nach unten. Die Lehrerinnen merken, dass dies für einige Schülerinnen und Schüler schwierig ist. Daher nimmt die DaZ-Lehrerin die Satzkonstruktion nochmals auf. Sie erfindet gemeinsam mit den Kindern lustige Kurzgeschichten.
Der Auftrag lautet: Suche dir aus mehreren Gegenständen drei aus. Diese Gegenstände müssen in deiner Geschichte vorkommen. Und du musst mindestens einmal einen «Je-desto-Satz» bilden.

Gegenstände, die in der Geschichte vorkommen müssen. Aufnahme Dominique Braun
Gegenstände, die in der Geschichte vorkommen müssen. Aufnahme Dominique Braun

Es war einmal ein Höckerschwan, der stieg auf ein Skateboard.
Dann nahm er das Saxofon und fuhr mit dem Skateboard und machte Musik.
Je schneller er fuhr, desto lauter war die Musik.
Er machte Kunststücke zur Musik.
Je schneller er fuhr, desto schwieriger war es, zu fahren.
Plötzlich fiel er vom Skateboard herunter.
Das Skateboard fuhr mit dem Saxofon alleine weiter.

Gegenstände, die in der Geschichte vorkommen müssen. Aufnahme Dominique Braun
Gegenstände, die in der Geschichte vorkommen müssen. Aufnahme Dominique Braun

Es war einmal eine Katze.
Sie las ein Buch über Blumen.
Je mehr sie las, desto mehr lernte sie über Blumen. Sie hatte Blumen so gerne.
Deshalb kaufte sie eine für sich.

Vermutungen und Beschreibungen formulieren


Vermutungen formulieren und durchgeführte Experimente sowie Beobachtungen beschreiben gehören zu den bildungssprachlichen Kompetenzen. Schülerinnen und Schüler verfügen nicht einfach so über diese Kompetenzen, sondern müssen sie in der Schule lernen können.
 

Die Lehrpersonen bieten den Schülerinnen und Schülern solche Formulierungen immer wieder an. Dazu achten sie darauf, dass sie konsequent so formulieren, wie sie es von den Lernenden erwarten: «Ich vermute, dass….,weil….» oder «Ich denke, dass…..,weil….». Damit die Schülerinnen und Schüler diese Formulierungen auch in ihren produktiven Wortschatz aufnehmen, erhalten sie viele Sprechgelegenheiten, um Vermutungen auszudrücken. So räumen die Lehrpersonen den Vermutungen bei Experimenten im Klassenverband viel Zeit ein und fordern dabei die angebotenen Redemittel ein. Zudem planen die Lehrpersonen das Formulieren von Vermutungen fest in den Forschungsablauf beim Experimentieren in Kleingruppen ein.
 

Am herausforderndsten gestaltet sich der Schritt, die eigene Beobachtung mündlich oder schriftlich festzuhalten. Wie Schülerinnen und Schüler beim Schreiben unterstützt werden können ist bei den Gelingensbedingungen beschrieben.

So kann es gelingen

Sprache brauchen wir in allen Fächern. Nicht alle Schülerinnen und Schüler verfügen über die notwendigen sprachlichen Mittel, um dem Unterricht folgen und an ihm partizipieren zu können. Dabei geht es nicht darum, dass die Schülerinnen und Schüler grundsätzlich über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, sondern darum, dass sie nicht über alle in der Schule erwarteten sprachlichen Mittel verfügen. Wir sprechen dann von bildungssprachlichen Kompetenzen (vgl. weiter unten).
 

Sind sich Lehrpersonen über diesen Umstand bewusst, können sie ihren Unterricht sprachbewusst oder sprachsensibel planen und gestalten. Sprachbewusster und sprachsensibler Unterricht verfolgen ähnliche Ziele, setzen aber einen jeweils anderen Fokus:

Beim sprachbewussten Unterricht fokussieren Lehrpersonen auf das fachliche Lernen und pflegen gleichzeitig einen bewussten Umgang mit der verwendeten Sprache.(1) Oder anders formuliert, die Lehrpersonen unterstützen die Lernenden dabei, mögliche sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden, so dass diese den fachlichen Inhalten nicht im Wege stehen.(2)
 

Beim sprachsensiblen Unterricht fokussieren Lehrpersonen auf das sprachliche Lernen anhand der verschiedenen Fachinhalte.(3)

Wir fokussieren im Folgenden auf den Begriff sprachbewusster Unterricht.
 

Wichtig ist, dass Lehrpersonen bei dieser Art Unterricht das sprachliche und das inhaltliche Lernen parallel denken und ihre Schülerinnen und Schüler systematisch sprachlich unterstützen.(4)
 

Ziel eines sprachbewussten Unterrichts ist es somit, dass alle Schülerinnen und Schüler am Unterricht partizipieren können und dass sie dabei ihre bildungssprachlichen Kompetenzen verbessern können.

Bildungssprache spielt in der Schule eine wichtige Rolle. So erfolgt die schulische Kommunikation häufig in der Bildungssprache. Deren Anwendung ist für Lehrpersonen selbstverständlich, weshalb sie sich manchmal nicht darüber bewusst sind, dass einige Schülerinnen und Schüler darauf angewiesen sind, bildungssprachliche Kompetenzen in der Schule erwerben zu können.

Bildungssprache ist diejenige Sprache, die notwendig ist, um kognitiv anspruchsvolles Wissen zu vermitteln. Sie gilt als Werkzeug des Denkens, weil wir mit ihr abstraktes und kontextunabhängiges Wissen formulieren können. (5)
 

„Bildungssprachliche Äusserungen sind durch raum-zeitliche Distanz geprägt. Um diese Distanz zu überwinden, sind sprachlich komplexe Strukturen notwendig, (…)“ (6).

Bildungssprache enthält viele Fachbegriffe, Adjektive mit den Endungen -bar, -los, -reich; substantivierte Infinitive; Verben mit Vorsilben; abstrakte und zusammengesetzte Wörter; komplexere Sätze; unpersönliche und passive Konstruktionen usw. Solche bildungssprachlichen Kompetenzen brauchen Schülerinnen und Schüler auch in bestimmten Sprachhandlungen, die im Alltag nicht vorkommen, wie beispielsweise etwas präsentieren oder eine Tabelle lesen. (7)
 

Bildungssprache wird mit Bezug auf den kanadischen Bildungsforscher Jim Cummins auch in Abgrenzung zu Alltagssprache beschrieben. Dieser hat unterschieden in:

  • alltagssprachliche Kompetenzen (BICS: basic interpersonal communicativ skills) und

  • kognitiv-schulische Sprachkompetenzen (CALP: cognitiv academic language proficiency). (8)


Alltagssprachliche Kompetenzen erwerben wir in erster Linie durch soziale Kontakte. Wir benötigen sie, um an Alltagsgesprächen teilzunehmen, Notizen auf einen Zettel zu schreiben oder nach dem Weg zu fragen. Bildungssprachliche Kompetenzen sind für komplexere Sprachleistungen erforderlich, z.B. einen Vortrag zu folgen, einen Vortrag zu halten, einen Sachtext zu lesen oder einen Bericht zu schreiben. (9)
 

Die Alltagssprache (BICS) entspricht eher einer konzeptionell mündlichen Sprache. Sie ist situations- und kontextgebunden, weist einfache Satzstrukturen sowie eine geringe Dichte an Informationen und Nomen auf. Und sie hat einen dialoghaften Charakter. Die Bildungssprache (CALP) hingegen entspricht eher einer konzeptionell schriftlichen Sprache. Sie weist eine hohe Informations- und Nomendichte auf, enthält Komposita und Nominalisierungen, Nebensatzstrukturen und unpersönliche Formen. Sie ist situationsungebunden und kontextunabhängig. (10)
 

Die Unterscheidung in BICS und CALP wurde mit dem Konzept der Textkompetenz noch stärker ausdifferenziert. (11)
 

Manchmal lesen oder hören wir auch den Begriff «Schulsprache». Dieser Begriff bezieht sich stärker auf die Institution Schule als der Begriff «Bildungssprache». Er umschreibt die schulspezifischen sprachlichen Normen und Praktiken. Es handelt sich somit um einen etwas engeren Begriff, der nur einen Ausschnitt der Bildungssprache beschreibt. (12)
 

In Bezug auf Bildungschancen besteht die Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen Schulerfolg und vorhandener Kompetenzen in konzeptioneller Schriftlichkeit besteht. Schülerinnen und Schüler haben ausserhalb der Schule wenige Möglichkeiten, um sich mit der konzeptionellen Schriftlichkeit auseinanderzusetzen, weshalb sie darauf angewiesen sind, diese in der Schule zu erlernen. (13)
 

Es sind nicht ausschliesslich geschriebene Texte, die konzeptionell schriftlich sind. Auch wenn Schülerinnen und Schüler mündlich darüber berichten, wie sie ein Experiment durchgeführt haben und welche Beobachtungen sie dabei gemacht haben, kann dieser Bericht konzeptionell schriftlich sein. Je mehr zeitliche und räumliche Distanz zum beschriebenen Gegenstand (hier Experiment) vorliegt, desto mehr bewegt sich ein Bericht, eine Erzählung usw. in Richtung konzeptioneller Schriftlichkeit. (14) Umgekehrt kann auch ein schriftlicher Text konzeptionell mündlich sein, z.B. eine SMS.
 

Für die Bildungssprache sind auch „kleine Wörter“ von Bedeutung. Es handelt sich dabei z.B. um Konjunktionen (und, obwohl…), Strukturwörter (zunächst, schliesslich…) oder Partikel (überhaupt, gerade, aber…). Solche Wörter sind entscheidend, ob Schülerinnen und Schüler einen Text verstehen oder einen zusammenhängenden Text verfassen können. (15) Es geht also nicht nur darum, ob die Lernenden diese Begriffe verstehen, sondern v.a. darum, dass sie sie adäquat anwenden können. (16)

Sind sich Lehrpersonen darüber bewusst, dass es ihre Aufgabe ist, den Lernenden bildungssprachliche Kompetenzen zu vermitteln, können sie Bildungschancen ermöglichen. Das bedeutet, dass Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern beispielsweise zeigen, wie sie über ein Experiment berichten oder wie sie ein Plakat zu einem selbstgewählten Thema gestalten können.
 

Erwarten Lehrpersonen hingegen (implizit) von ihren Schülerinnen und Schülern, dass diese ohne Weiteres über bildungssprachliche Kompetenzen verfügen, kann dies zu Bildungsbenachteiligungen führen. Dies passiert v.a. dann, wenn die erwarteten Kompetenzen bewertet werden. (17)
 

Zusätzlich hilfreich ist, wenn sich Lehrpersonen darüber bewusst sind, wann Unterrichtssequenzen in Alltagssprache stattfinden, z.B. während einer Gruppenarbeit, und wann in Bildungssprache, z.B. bei der Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse. Diese Unterscheidung machen sie für die Schülerinnen und Schüler transparent, so dass diese wissen, wann von ihnen erwartet wird, dass sie Bildungssprache verwenden. (18)

Die Planung ist zentraler Bestanteil eines sprachbewussten Unterrichts. Lehrpersonen analysieren dabei eine Unterrichtseinheit in Bezug auf Sprachhandlungen und wesentliche sprachliche Elemente. Daraus leiten sie ab, welche sprachlichen Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler gestellt werden: Welche sprachlichen Handlungen (sogenannte Operatoren) müssen sie anwenden können, um am Unterricht partizipieren zu können? Welchen (Fach)Wortschatz und welche Redemittel brauchen sie dazu?
 

Daraus leiten die Lehrpersonen weiter ab, welche (sprachliche) Einführung und Unterstützung notwendig ist. Und sie überlegen sich vielfältige Gelegenheiten, in denen die Schülerinnen und Schüler sprachlich handeln können.

Zu den Operatoren gehören sprachliche Handlungen (mündlich oder schriftlich) wie beschreiben, erklären, interpretieren, skizzieren etc. Die Kompetenzbeschreibungen im Lehrplan 21 enthalten sehr viele solcher Operatoren. (19)
 

Zur Planung eines sprachbewussten Unterrichts gehört, dass Lehrpersonen sich bewusst machen, über welche Operatoren die Schülerinnen und Schüler verfügen müssen, um am Unterricht partizipieren zu können.

Die Planung unterstützt die Lehrpersonen auch darin, ein sprachliches Modell zu sein und korrektives Feedback zu geben. Und sie macht es ihnen einfacher, zwischen fachlicher und sprachlicher Leistung zu differenzieren.
 

Als Hilfe für diese komplexe Unterrichtsvorbereitung ist ein Planungsrahmen hilfreich (vgl. Kopiervorlage in Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 140; vgl. auch Materialien und Links).


Idealerweise überlegen sich Lehrpersonen in dieser Planungsphase auch, wie ein schriftlicher oder mündlicher Zieltext der Schülerinnen und Schüler aussehen soll. Bei obigem Beispiel würde es darum gehen, dass sich die Lehrpersonen im Voraus überlegen, mit welchen Begriffen und Sätzen die Schülerinnen und Schüler das durchgeführte Experiment beschreiben sollen und wie sie diese Beschreibung strukturieren. Auch dadurch erkennen Lehrpersonen, welche Fachbegriffe und Redemittel die Schülerinnen und Schüler kennen müssen, um einen solchen Text zu formulieren. Zudem erkennen sie, was Schülerinnen und Schüler über den Aufbau eines Textes wissen müssen, um das Ziel zu erreichen. Diesen zweiten Aspekt müssen Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern ebenfalls vermitteln (vgl. Gelingensbedingung Scaffolding).
 

Auf die sprachliche Analyse der geplanten Unterrichtssequenz oder des geplanten Themas folgt die Diagnose der sprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Dabei berücksichtigen Lehrpersonen idealerweise auch die mehrsprachigen Ressourcen ihrer Schülerinnen und Schüler. (20) Sie überlegen beispielsweise, ob es einigen Lernenden dienen würde, wenn sie einen Sachverhalt in ihrer Erstsprache formulieren könnten. Oder sie überlegen, welche bildungssprachlichen Kompetenzen die Lernenden bereits in einer anderen Sprache als Deutsch (vgl. Bildungssprache und Mehrsprachigkeit) mitbringen. Die Zusammenarbeit mit HSK-Lehrpersonen (Lehrpersonen für Heimatliche Sprache und Kultur) kann dabei unterstützen (vgl. Ideen «Bildungssprachliche Kompetenzen» und «Erstsprachen integriert»).

Den notwendigen Fachwortschatz müssen Lehrpersonen gezielt aufbauen. Dazu gehören nicht nur Nomen, sondern auch alle anderen Wortarten sowie Satzbausteine (vgl. Wortfeld zum Thema Luft weiter oben).
 

Im Zusammenhang mit dem Fachwortschatz wird auch von Schlüsselwörtern gesprochen. Anhand einer Schlüsselworttabelle analysieren Lehrpersonen, welche allenfalls anderen Bedeutungen die Schlüsselwörter im Alltag haben, welches die gegenteiligen Begriffe sind oder wie die Begriffe in anderen Sprachen heissen. Durch diese Auseinandersetzung präzisieren Lehrpersonen die im Unterricht verwendeten Schlüsselwörter. (21)
 

Damit die Schülerinnen und Schüler den Fachwortschatz nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv lernen, fordern Lehrpersonen die sprachlichen Mittel immer wieder ein.

Scaffolds unterstützen die Schülerinnen und Schüler in ihren Sprachhandlungen. Sie bieten ein Gerüst, so dass die Lernenden erwartete Formulierungen in der erwarteten Form eines Textes (mündlicher Bericht) produzieren können.
 

Scaffolds können z.B. Satzanfänge sein, mit Hilfe derer die Lernenden beschreiben, wie sie ein Experiment durchgeführt haben. Scaffolds können auch Abschnitte eines Textes benennen. Dadurch wissen die Schülerinnen und Schüler wie ein spezifischer Text aufgebaut ist. Oder Scaffolds sind kleinschrittige Aufträge, die die Schülerinnen und Schüler durch eine Aufgabe führen. Das Gerüst wird nach und nach abgebaut, so dass die Lernenden die Aufgaben irgendwann selbständig lösen können.

Damit Schülerinnen und Schüler bildungssprachliche Kompetenzen erwerben können, brauchen sie viele Gelegenheiten, in denen sie Bildungssprache sowohl rezeptiv als auch produktiv verarbeiten. Lehrpersonen sind dabei sprachliche Vorbilder. Das heisst, sie verwenden bewusst und konsequent diejenigen Formulierungen, die sie von den Schülerinnen und Schülern später einfordern. (22) Lehrpersonen sprechen sich idealerweise und wie oben beschrieben im Klassenteam und stufenübergreifend ab, welche bildungssprachlichen Formulierungen sie im Unterricht verwenden (vgl. Idee Sprachbewusster Unterricht - Rituale). Solche Absprachen gelingen eher, wenn die Schulleitung sie ideell und organisatorisch unterstützt.

Kennen Lehrpersonen die (bildungs)sprachlichen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler in deren jeweiliger Erstsprache, können sie darauf aufbauen. (23)
 

Dies ist deshalb bedeutsam, weil die Interdependenz-Hypothese davon ausgeht, dass bestimmte bildungssprachliche Kompetenzen nur in einer Sprache gelernt werden müssen. Es handelt sich dabei v.a. um sprachunabhängige Kompetenzen und Strategien. Können Lernende z.B. einen Vortrag strukturieren und vortragen oder verfügen sie über Strategien, um einen Fachtext zu erschliessen, können sie diese Kompetenzen in jeder Sprache anwenden. Erwerben Lernende eine weitere Sprache, können sie auf diese Kompetenzen zurückgreifen. Dadurch haben sie freie Kapazität, um das tatsächlich Spezifische einer neuen Sprache zu lernen, wie Wortschatz, Grammatik, Aussprache usw. (24)
 

Das Instrument EKSON – Erfassung schulischer Kompetenzen Neuzugezogener hilft insbesondere, die (bildungssprachlichen) Kompetenzen neuzugezogener Schülerinnen und Schüler zu erkennen: https://www.eskon.ch/

Das Kompetenzzentrum FörMig (25)hat Qualitätsmerkmale für eine durchgängige Sprachbildung – vergleichbar mit sprachbewusstem Unterricht – formuliert. (26) Aus diesen Merkmalen haben Tajmel & Hägi-Mead (27) verschiedene Prinzipien für einen gelingenden sprachbewussten Unterricht abgeleitet:
 

  • Jede Lehrperson ist zuständig für sprachliche Bildung.

  • Sprache ist intrinsischer Bestandteil einer jeden fachlichen Unterrichtsplanung. (Planungsrahmen)

  • Bildungssprache ist Ziel und nicht Voraussetzung des Unterrichts.

  • Die Lehrperson kennt die sprachlichen Anforderungen ihres Unterrichts.

  • Die Lehrperson kennt die sprachlichen Lernziele ihres Unterrichts.

  • Der Unterricht knüpft sowohl sprachlich als auch fachlich an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler an.

  • Im Unterricht werden sprachliche Mittel zur Verfügung gestellt sowie Massnahmen ergriffen, damit alle Schülerinnen und Schüler sprachhandlungsfähig sind. (28)


  1. (1) vgl. Schmellentin & Lindauer, 2020, S. 669

    (2) vgl. Leisen, 2011, S. 5

    (3) vgl. Schmellentin & Lindauer, 2020, S. 669

    (4) vgl. Leisen, 2011, S. 15–18

    (5) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 71–76

    (6) Gogolin et al., 2011, S. 9

    (7) vgl. Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2017, S. 7

    (8) vgl. z.B. Neugebauer & Nodari, 2017, S. 17

    (9) vgl. ebd., S. 17

    (10) vgl. Tajmel, 2009, S. 9f.

    (11) vgl. dazu Neugebauer & Nodari, 2017, S. 18–20 mit Bezug auf Portmann-Tselikas und Schmölzer-Eibinger, 2008

    (12) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 82f. mit Bezug auf Feilke, 2012

    (13) vgl. Tajmel, 2009, S. 9f.

    (14) vgl. Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 48f.

    (15) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 26

    (16) vgl. Feilke, 2019, S. 3

    (17) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 77–79

    (18) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 9

    (19) vgl.Nodari, 2018, S. 10–14

    (20) vgl. Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 124

    (21) vgl. Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 83f.

    (22) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 9

    (23) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 9

    (24) vgl. Neugebauer & Nodari, 2017, S. 17; Schader, 2011, S. 10f.

    (25) FörMig ist ein Kompetenzzentrum der Universität Hamburg, das sich seit vielen Jahren mit Fragen zu Bildung und Erziehung in sprachlich und kulturell heterogenen Konstellationen befasst. An diesem Zentrum wurde u.a. der Ansatz der «durchgängigen Sprachbildung» entwickelt. https://www.foermig.uni-hamburg.de/bildungssprache/durchgaengige-sprachbildung.html

    (26) vgl.Gogolin et al., 2011, S. 12–25
    (27) 2017

    (28) Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 72

Materialien und Links

Online Lerneinheit Schreibpläne von Büchel 2022: https://tiny.phzh.ch/schreibplaene --> Kapitel 6.6 Sachtexte/Forschungsbericht Buchenspringrüssler

Weiterführende Literatur:

Neugebauer, C. & Nodari, C. (2017). Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen in einem mehrsprachigen Umfeld. (5. Aufl.). Bern: Schulverlag plus.

--> mit vielen Beispielen, wie Fachinhalte und Sprachförderung gleichzeitig stattfinden kann
 

Tajmel, T. & Hägi-Mead, S. (2017). Sprachbewusste Unterrichtsplanung. Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung (Bd. 9). Münster und New York: Waxmann.

-->inkl. Kopiervorlage Planungsrahmen
 

Online Lerneinheit Schreibpläne von Büchel 2022: https://tiny.phzh.ch/schreibplaene

--> Kapitel 08_Bildungssprache_Merkmale und Kapitel 08_Kleine_Woerter

Leseforum.ch 1/2023: Sprachbewusster Fachunterricht.

Weitere Beispiele: Sprachsensibel unterrichten. Die Grundschulzeitschrift. Nr. 323, Jahrgang 34. 2020.
 

Unterlagen zu sprachlicher Begleitung von Experimenten im Kindergarten: Netzwerk Sims: https://netzwerk-sims.ch/unterrichtsmaterialien-1-skizzen/

-->Experimente mit Wasser

Verwendete Literatur:

Bildungsdirektion Kanton Zürich. (2017). Fachkonzept Integrierte Sprachförderung auf der Kindergarten- und Primarstufe.  Zürich: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Volksschulamt.
 

Feilke, H. (2019). Bildungssprache. Verfügbar unter https://spracheimfach.de/bildungssprache/ Website
 

Gogolin, I., Lange, I., Hawighorst, B., Bainski, C., Heintze, A., Rutten, S. & Saalmann, W. (2011). Durchgängige Sprachbildung: Qualitätsmerkmale für den Unterricht (Bd. 3, FörMig-Material). Münster: Waxmann.
 

Leisen, J. (2011). Praktische Ansätze schulischer Sprachförderung – Der sprachsensible Fachunterricht. Vorgetragen bei: Expertentagung Begegnen, Verstehen, Zukunft sichern – Beiträge der Schule zu einem gelungenen Miteinander, Bad Staffelstein. Verfügbar unter http://www.josefleisen.de/download-sprachbildung.
 

Morek, M. & Heller, V. (2012). Bildungssprache – Kommunikative, epistemische, soziale und interaktive Aspekte ihres Gebrauchs. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 57(1), 67–101.
 

Neugebauer, C. & Nodari, C. (2017). Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen in einem mehrsprachigen Umfeld. (5. Aufl.). Bern: Schulverlag plus.
 

Nodari, C. (2018). Textkompetenz und dialogische Sprachverwendung. Vorgetragen bei: sims-Tagung 17. Januar 2018.
 

Schmellentin, C. & Lindauer, T. (2020). Sprachbewusster Fachunterricht – Entwicklungsperspektiven für eine interdisziplinäre Fachdidaktik. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 42(3), 669–677. DOI: 10.25656/01:21585
 

Tajmel, T. (2009). Bildungssprache in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Vorgetragen bei: Fachtagung "Bilanz und Perspektiven von FörMig Sachsen".
 

Tajmel, T. & Hägi-Mead, S. (2017). Sprachbewusste Unterrichtsplanung. Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung (Bd. 9). Münster und New York: Waxmann.

Kontakt

Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
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