In Sprachvergleichskursen entdecken Schülerinnen und Schüler Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihrer Erstsprache und Deutsch. Im Regelunterricht erhalten sie – wenn nötig – zusätzliche und gezielte Unterstützung im fachlichen Lernen. Diese Angebote des Konzeptes Sprach- und Kulturbrücke (www.edubs.ch) aus dem Kanton Baselstadt fördern die bildungssprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Erst- und Zweitsprache.

Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 2

Beschreibung der Idee

Sprachvergleichskurse

«Ich spiele Fussball» heisst in Türkisch «Futbol oynarım». Das Verb folgt – umgekehrt als im Deutschen – dem Objekt, das Personalpronomen ist im Verb enthalten. Die türkische Sprache unterscheidet sich in weiteren Punkten zur deutschen, z.B. bezüglich Anzahl Fälle und Artikel. Auch andere Sprachen unterscheiden sich hinsichtlich der Aussprache und Grammatik zum Teil wesentlich vom Deutschen.

 

Um diese Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den Sprachen zu erkennen, hat die Schule das Konzept der Sprachvergleichskurse entwickelt. In der 4. und 5. Klasse besuchen viele mehrsprachige Kinder der Schule einen Sprachvergleichskurs in ihrer Erstsprache.

 

«Mit den Sprachvergleichskursen ermöglichen wir Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch systematisch und explizit sprachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihrer Erstsprache und Deutsch zu erkennen und so sprachliche Stolpersteine möglichst zu vermeiden. Gleichzeitig sollen die Kurse den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihre eigene sprachliche Identität zu entwickeln und zu finden.» (Denise Marchand, Schulleiterin Primarschule Dreirosen, Basel). 

 

Die Lehrpersonen der Sprachvergleichskurse (im Folgenden S&K-Lehrpersonen genannt) vergleichen u.a. die Alphabete. So verwenden die türkische und die deutsche Sprache zum Beispiel unterschiedliche Buchstaben. Das türkische Alphabet kennt Buchstaben, die im Deutschen nicht vorkommen:

Ç / Ş / Ğ

İ (grosses I mit Punkt)

ı (kleines i ohne Punkt)   

 

Diese Grapheme lernen die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Alphabetisierung im Regelunterricht in der Schweiz nicht. Dasselbe gilt für unterschiedliche Lautwerte einzelner Grapheme: «Z» beispielsweise hat im Deutschen den Lautwert «ts», in den meisten anderen Sprachen steht es für das stimmhafte «S». Diese Besonderheiten müssen die Kinder kennen, wenn sie ihre Erstsprache flüssig lesen und schreiben wollen.

 

Auch in den Wörterbüchern sind Unterschiede vorhanden, die die Lernenden kennen müssen, damit sie sich in der jeweiligen Sprache zurechtfinden:

türkisches Wörterbuchdeutsches Wörterbuch
Ö- und Ü-WörterO- und U-Wörtern nachgelagertIn O- und U-Wörter integriert
X, Q, Wnicht vorhandenvorhanden
Ç, Ş, Ğ, İ, ıvorhandennicht vorhanden

Um Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Sprachen zu verbildlichen, stellen die Kinder beispielsweise auf einer Collage viele verschiedene Schriftzeichen dar. Diese Auseinandersetzung bildet das Basisverständnis für unterschiedliche Zeichen. Darauf aufbauend können die Kinder die Alphabete der verschiedenen Sprachen vergleich.

Collage verschiedener Alphabete. Aufnahme Hüsniy Göktas
Collage verschiedener Alphabete. Aufnahme Hüsniy Göktas

Das Angebot schlägt eine Brücke zwischen der Erst- und der Zweitsprache. Die Schülerinnen und Schüler erweitern mit der Zeit ihre bildungssprachlichen Kompetenzen in beiden Sprachen. Die S&K-Lehrpersonen haben für jede Sprache einen eigenen Lehrplan entwickelt, der sich am Lehrplan für das Fach Deutsch orientiert. Das bedeutet, dass der Inhalt der Kurse – anders als beim HSK-Unterricht – von der Volksschule vorgegeben ist und hauptsächlich auf die Sprachen und den Sprachvergleich fokussiert. Auch die Wortschatzerweiterung orientiert sich an wichtigen Begriffen und Redemitteln aus dem Lernfeld Schule.

Die Sprachvergleichskurse bietet die Schule zusätzlich zum HSK-Unterricht in verschiedenen Sprachen an, u. a. Albanisch, Türkisch oder Italienisch. Mit den angebotenen Sprachen erreicht die Schule inzwischen leider nicht mehr die Mehrheit der Kinder. Da neue Erstsprachen dazukommen oder mehr Kinder mehrsprachig sind, erarbeitet die Schule aktuell eine adäquate Anpassung des Konzeptes.

 

Die Lehrpersonen klären im Voraus die Kompetenzen eines Kindes in seiner Erstsprache ab. Dafür können sie auf ein eigens entwickeltes Instrument zur Lernstandserfassung zurückgreifen. Sie erfassen die mündlichen Kompetenzen, das Verstehen von Texten und den Umfang des Wortschatzes. Aufgrund der Ergebnisse können sie besser abschätzen, mit welchen Sprachvergleichen sie beginnen können und wo sie erstsprachliche Kompetenzen sinnvollerweise noch gezielt ausbauen.

 

Während eines Quartals in der 4. Klasse und eines Quartals in der 5. Klasse sind die Kurse obligatorisch. Sie umfassen zwei Lektionen pro Woche und finden zusätzlich zum Regelunterricht statt. Möchten genügend Kinder die Kurse über längere Zeit besuchen, können sie auf ein Semester ausgedehnt werden. Bei besonders grossen Sprachgruppen bietet die Schule zwei Niveaugruppen an.

Unterstützung im pädagogischen Team

Die S&K-Lehrpersonen übernehmen an der Schule noch weitere Funktionen, für die mehrere Wochenlektionen zur Verfügung stehen.
 

Sie können einzelne Schülerinnen und Schüler oder Kleingruppen im Regelunterricht integriert fördern. Je nach eigenen Sprachkenntnissen unterstützen sie die Lernenden sowohl in deren Erst- als auch in der Zweitsprache. Sie lesen beispielsweise einen Fachtext zum aktuellen Thema in NMG mit ihnen. Dabei erweitern die Lernenden ihren Fachwortschatz in Deutsch. Sie haben aber auch die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte (z.B. Treibhausgaseffekt) zuerst in der Erstsprache zu erläutern. Die Schülerinnen und Schüler lernen so, das Gelernte sowohl in ihrer Erstsprache als auch in Deutsch zu erklären. Fachliches Lernen findet dadurch ohne Einschränkung durch sprachliche Hürden statt. Manchmal begleitet eine S&K-Lehrperson eine Klasse auf einem Ausflug und führt da Gespräche in der Erstsprache.
 

Die S&K-Lehrpersonen schlagen auch hier die Brücke zwischen Erst- und Zweitsprache und vermitteln dadurch bildungssprachliche Kompetenzen in beiden Sprachen. Zudem verschafft ihre Anwesenheit der konkreten Sprache einen selbstverständlichen Platz in der Schule, was zu einer erhöhten Anerkennung dieser Sprache beitragen kann.
 

Falls gewünscht übersetzen S&K-Lehrpersonen an Elterngesprächen oder übernehmen kurze Telefonate mit den Eltern.

So kann es gelingen

Kompetenzen von S&K-Lehrpersonen

S&K-Lehrpersonen sollten sowohl ihre Erstsprache als auch Deutsch bildungssprachlich gut beherrschen. Dadurch können Sie die Sprachen exakt vergleichen und beide Sprachen gezielt fördern. Die bildungssprachlichen Kompetenzen in der Erstsprache sind zudem notwendig, damit sie den Lernstand der Schülerinnen und Schüler genau bestimmen können. Sie können dabei auf das Instrument ESKON – Erfassung schulischer Kompetenzen Neuzugezogene www.eskon.ch zurückgreifen.

Der Pool an S&K-Lehrpersonen im beschriebenen Beispiel setzt sich zusammen aus HSK-Lehrpersonen mit guten Deutschkenntnissen, Regellehrpersonen mit einer anderen Erstsprache als Deutsch und weiteren mehrsprachigen Personen aus dem Schulumfeld. Letztere haben nicht alle eine pädagogische Ausbildung und müssen in diesem Fall eine entsprechende Weiterbildung absolvieren.
 

Für das Dolmetschen an Elterngesprächen verfügen Lehrpersonen möglichst über eine Befähigung als interkulturell Dolmetschende.  

Zusammenarbeit

Mit der S&K-Lehrperson kommt eine Person ins Klassenzimmer, die z.T. über andere Erfahrungen und Ressourcen verfügt als die Klassenlehrperson. Damit die Zusammenarbeit gelingt, begegnen sich die Beteiligten auf Augenhöhe. Das heisst, gemeinsam überlegen, welche Unterstützung sinnvoll ist, gemeinsam auswerten, gemeinsam reflektieren – und dadurch voneinander lernen.

Information

Entscheidet sich eine Schule für obligatorische Sprachvergleichskurse, informiert sie Kinder und Eltern idealerweise sorgfältig über Ziele, Zweck, Lehrperson, Zeitpunkt und Umfang der Kurse. Bewährt hat sich, das Angebot auch am Elternabend vorzustellen. Möchten Eltern ihre Kinder nicht in einen Kurs schicken, lohnt sich ein mündliches Gespräch. Vielleicht stimmen Eltern einem Besuch auch eher zu, wenn sie einen direkten Einblick in einen Kurs erhalten.

Organisation der Unterstützung im pädagogischen Team

Es hat sich bewährt, dass eine S&K-Lehrperson während eines Quartals mit einem Pädagogischen Team (drei bis vier Klassen) zusammenarbeitet. Das Pädagogische Team entscheidet selbst, in welcher Klasse, bei welcher Lehrperson, in welchem Fach, mit welchem Inhalt und in welcher Form die Unterstützung schliesslich stattfindet. Jedes Quartal wechselt die S&K-Lehrperson in ein neues Pädagogisches Team. Dafür erarbeitet die Schulleiterin einen Einsatzplan und gewährt so, dass möglichst viele Klassen von verschiedenen Sprachkompetenzen profitieren. Um mehr Ruhe und Kontinuität zu erreichen, plant die Schulleitung, die Einteilung in Zukunft für ein ganzes Semester beizubehalten.

Finanzierung

Das Projekt Sprach- und Kulturbrücke wird über den Kanton Baselstadt finanziert. Wollen Schulen ein ähnlich umfassendes Projekt lancieren, sind sie auf die finanzielle Unterstützung von Gemeinde oder Kanton angewiesen.
 

Mit weniger finanziellen Mitteln sind kürzere Projekte in Zusammenarbeit mit HSK-Lehrpersonen, z.B. für gezielte Sprachvergleiche, denkbar. Möglicherweise können Schulen auf einen Stundenpool zurückgreifen. Findet die Zusammenarbeit im Rahmen eines Projekts statt, könnten sie entsprechende Projektkredite verwenden. Damit könnten sie HSK-Lehrpersonen angemessen bezahlen.
 

Wie Sprachvergleiche mehrerer Sprachen im Klassenverband aussehen könnten, haben wir hier beschrieben.

Materialien und Links

Informationen zum Projekt Sprach- und Kulturbrücke
www.edubs.ch
 

ESKON – Erfassung schulischer Kompetenzen Neuzugezogener www.eskon.ch

Kontakt

Schulleitung
Primarschule Dreirosen, Basel
Mail schicken

Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
Mail schicken

Sprachen sichtbar machen

Eine Schulkultur, die alle Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennt und wertschätzt, macht diese Sprachen sichtbar:

Mehrsprachigkeit als Normalität

Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit bezieht alle Sprachen der Schülerinnen und Schüler selbstverständlich mit ein. Sie ermöglicht ihnen Sprachbegegnungen und lässt sie über Sprache nachdenken:

Erstsprachen fördern

Nicht-deutsche erstsprachliche Kompetenzen und jeweilige bildungssprachliche Fähigkeiten können auch in der Regelklasse gefördert werden, idealerweise in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen des Unterrichts in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK):

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