Sprachvergleiche fördern nicht nur das Sprachenlernen und Sprachbewusstsein, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schülern. Während Sprachmuster und
-strukturen entdeckt werden, steigt auch die Toleranz für Unterschiede und Andersartigkeit.

Text: Tamina Kappeler
Empfohlen für die Zyklen 1, 2 und 3

Beschreibung der Idee

«Gaggalagó! Chicchirichi! Cocorico! Ko-ki-oh! Cock-a-doodle-doo!» Welche Tiere machen solche Geräusche? Ist es das gleiche Tier? Sind es ähnliche Tiere? Diese und weitere Fragen bespricht eine Lehrerin mit ihrer Klasse im Sitzkreis.
Verwandtschaftsbezeichnungen in verschiedenen Sprachen. Aufnahme Julia Röllin
Verwandtschaftsbezeichnungen in verschiedenen Sprachen. Aufnahme Julia Röllin

Sprachvergleiche gehören zum übergeordneten ELBE-Ansatz (Eveil aux langues – Language awareness – BEgegnungen mit Sprachen; vgl. dazu Hintergrundinformationen Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt), der das Erforschen, Vergleichen und Entdecken von Sprachen und deren Strukturen unterstützt. Der Ansatz basiert auf der Idee, dass Kinder über Elemente aus der Mehrsprachigkeitsdidaktik, wie Sprachvergleiche, erhöhte linguistische und metakognitive Fähigkeiten entwickeln können, wobei eine gezielte Begleitung notwendig ist, um diese Potenziale auszuschöpfen.

Die didaktischen Zielsetzungen beim Einsatz von Sprachvergleichen im Unterricht lassen sich laut Bredthauer (2019) zusammenfassend zwei Dimensionen zuordnen: dem Sprachenlernen und der Persönlichkeitsentwicklung. Einerseits werden Lernprozesse erleichtert und Sprachbewusstheit gesteigert. Nicht nur für Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) sind Sprachvergleiche eine Unterstützung beim Erlernen einer neuen Sprache. Alle Schülerinnen und Schüler lernen, Muster und Strukturen zu erkennen und diese metakognitiven Fähigkeiten im deutschen, englischen oder französischen Sprachunterricht einzusetzen. Sprachvergleiche haben einen positiven Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Indem sie verschiedene Sprachen mit- und voneinander kennenlernen, steigt die Toleranz für Andersartigkeit und das interkulturelle Lernen wird gefördert. Gleichzeitig wird das Selbstbewusstsein von mehrsprachigen Kindern positiv beeinflusst.(1)


Eine Analyse von Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen eines Forschungsprojekts in deutschen Primarschulen hat drei mögliche Unterrichtsmomente herauskristallisiert: 1) Lehrpersonen, die auf Sprachvergleiche der Schülerinnen und Schüler im Unterricht reagieren, wenn ein Kind beispielsweise im Englischunterricht freudvoll entdeckt, dass „potatoe“ auf Albanisch („patate“) ganz ähnlich klingt, 2) spontan improvisierte Sprachvergleiche im Unterricht , zum Beispiel wenn die Lehrperson an diese Entdeckung knüpft und mit der Klasse weitere Beispiele sammelt, und 3) geplante Unterrichtssequenzen, die Sprachvergleiche beinhalten (siehe Beispiele weiter unten). Sprachvergleiche müssen also nicht in jedem Fall viel Vorbereitungs- oder Unterrichtszeit beanspruchen, wenn Lehrpersonen spontane Inputs der Schülerinnen und Schüler geschickt nutzen. 


Ähnlichkeiten in Verwandtschaftsbezeichnungen. Material von Julia Röllin
Ähnlichkeiten in Verwandtschaftsbezeichnungen. Material von Julia Röllin
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«Mandaag, Montag, Monday; Lunes, Lunedi, Lundi!»

Die mehrsprachigen Kinder in der DaZ-Gruppe von Lehrerin Mailin Ricci in Zug haben Poster der Wochentage in verschiedenen Sprachen gestaltet und sind gerade dabei, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Die Kinder bilden Sprachgruppen, die ähnlich klingen: Kroatisch und Serbisch; Spanisch, Französisch und Italienisch; Deutsch und Holländisch. Die Wochentage auf Türkisch sind keiner der vorhandenen Sprachen ähnlich, Koreanisch und Arabisch können sie aufgrund der Schrift gar nicht lesen. Auf Albanisch beginnen alle Tage mit „e“; was bedeutet das wohl? Es gibt viel zu entdecken!
 

Die Lehrerin hat diese Sequenz zu Sprachvergleichen geplant und den Auftrag bewusst offen formuliert. Sie sagt: «Schreibt die Wochentage in Sprachen, die ihr kennt» anstatt «Schreibt die Wochentage in eurer Muttersprache». Sie möchte die Antwortmöglichkeiten nicht limitieren, denn die Kinder bringen Vorwissen aus diversen Situationen mit: japanische oder koreanische Zahlen aus dem Kampfsportunterricht, schweizerdeutsche Begriffe in verschiedenen Dialekten, Wortschatz aus dem Fremdsprachenunterricht oder von Reisen ins Ausland. Die Poster der Wochentage hängen nach dieser Lernsequenz prominent oberhalb der Wandtafel im Klassenzimmer.
 

Frau Ricci unterstützt ihre Schülerinnen und Schüler, wenn sie nicht sicher sind, wie etwas in ihrer Erstsprache geschrieben wird: «In der Regel sind die mündlichen Kompetenzen der Kinder stärker als die schriftlichen, bei Unsicherheiten schauen wir nach und lernen gemeinsam etwas Neues.» Für Sprachvergleiche seien Alltagswörter aus der kindlichen Lebenswelt geeignet, wie zum Beispiel Tiere, Zahlen, Körperteile, Verben oder Artikel. In ihrer Kindergartenklasse habe sie mit Bildkarten Tiernamen geübt, als sich spontan eine Möglichkeit für einen Sprachvergleich anbot. Sie hielt die Karte des Hundes hoch, ein Junge sagte «Wuff!» und ein anderer entgegnete „«Nein, das heisst bau-bau». Es entstand eine Diskussion über Tierlaute in verschiedenen Sprachen und die Kinder fanden es sehr lustig, dass sogar Geräusche in anderen Sprachen anders sind. Bereits auf der Kindergartenstufe sind Sprachvergleiche mündlich oder mit Bildern möglich und später kann man mit einzelnen Wörtern und Sätzen arbeiten, wie im nächsten Beispiel.
 

Im Rahmen einer Studie zu Sprachvergleichen beobachtete ein Forschungsteam Unterrichtssequenzen in einer deutschen Primarschule.(2) Die folgende geplante Sequenz findet in einer altersdurchmischten 1./2.-Klasse mit 6- bis 8-jährigen Kindern statt. Die Themen der Stunde sind Verben im Infinitiv und in der ersten Person Singular. Die Klasse sammelt zuerst Verben in verschiedenen Sprachen, welche die Lehrperson an die Wandtafel schreibt.
 

Die Klasse entdeckt, dass viele Verben in der ersten Person Singular auf Deutsch mit „–e“ und auf Persisch mit „–am“ enden, aber, dass bulgarische oder arabische Verben unterschiedliche Endungen haben. Zeitgleich mit den Kindern entdeckt die Lehrperson diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede und wechselt dabei flexibel von der Rolle einer Lehrperson in die einer Lernenden. Einige Kinder wissen mehr über eine Sprache als sie und bringen ihr vor der restlichen Klasse etwas bei. Die Klasse sieht eine seltene Szene: die Lehrperson macht Fehler und ihre Aussprache klappt nicht auf Anhieb. Frau Ricci: «Einerseits sehen die Kinder, dass es allen beim Lernen einer Sprache gleich geht, und erfahren so indirekt Anerkennung für ihre Anstrengungen beim Deutschlernen. Andererseits sehen sie, dass wir alle Menschen sind, Fehler machen und aus diesen Fehlern lernen können.»  Frau Ricci beobachtet, dass Sprachvergleichsübungen dazu beitragen, Sprechhemmungen bei Kindern abzubauen. Nachdem sie merken, dass die Lehrperson gelassen damit umgeht, wenn sie etwas nicht richtig ausspricht, seien sie bei ihren eigenen Fehlern ebenfalls entspannter.

So kann es gelingen

Einbezug aller Kinder

Bei Sprachvergleichen im Unterricht können alle Kinder mitmachen, egal ob sie als mehrsprachig gelten oder nicht. Die Vergleiche sind allen Kindern zugänglich, denn es geht häufig darum, Muster und Strukturen zu erkennen. Wenn man die Klasse anspricht, bietet es sich deshalb an, die generelle Frage «Welche anderen Sprachen kennt ihr?» zu stellen, statt einzelne Kinder direkt und erwartungsvoll anzusprechen. So werden monolinguale Schülerinnen und Schüler nicht ausgeschlossen und jedes Kind entscheidet selbst, ob und in welcher Sprache es einen Beitrag leisten möchte.

Was ist geeignet?

Als Fokus des Sprachvergleichs eignen sich - je nach Klassenstufe - Laute, Alltagswörter, zusammengesetzte Wörter, Verbformen, Artikel oder Satzstrukturen und ihre Anordnung. Wichtig ist vor allem, dass das zu Vergleichende alltäglich und allen Kindern bekannt ist. Grundsätzlich gilt: «Sprachvergleiche […] müssen verstehbar, behaltbar, anwendbar, auf das Wesentliche beschränkt und dem Sprachniveau der Schüler angemessen sein» (3). Das zentrale Lernziel von Sprachvergleichen ist nicht die Wortschatzerweiterung, sondern die Förderung des Sprachbewusstseins; ein tieferes Verständnis für andere Sprachen zu erlangen, aber gleichzeitig die Besonderheiten des Deutschen zu erforschen.

Kompetenzen von Lehrpersonen

Eine Auswertung von Studien zu Mehrsprachigkeitsdidaktik aus dem deutschsprachigen Raum hat ergeben, dass viele Lehrpersonen ihre eigenen fehlenden Kompetenzen in anderen Sprachen als grosse Hürde sehen.(4) Es ist nicht üblich, dass eine Lehrperson vertiefte Kenntnisse vieler Sprachen hat, aber zum Glück ist das für erfolgreiches Vergleichen auch nicht nötig. Vielmehr soll flexibel zwischen der Rolle eines Lernenden und der Rolle der Lehrperson gewechselt werden können. Einzelne Kinder fungieren in dieser Lernsituation als Expertinnen und Experten. Die Lehrperson zeigt dabei eine wertschätzende, neugierige und fehlerfreundliche Haltung. Oft wird sie laut Fragen stellen, zu denen sie die Antwort noch nicht kennt. So entsteht eine authentische Lernsituation, bei der die ganze Klasse gemeinsam Neues entdeckt. Die Lehrperson legt aber in der Rolle der Lernenden ihre Rolle als Lerncoach nie ganz ab. Sie verliert das Lernziel der Stunde nicht aus den Augen und achtet darauf, den Fokus der Kinder zu lenken, indem sie die zu vergleichenden Stellen sowie Muster beispielsweise farbig markiert oder einkreist. Sie bleibt dabei agil und integriert spontan neue Beiträge der Kinder.

Eine gemeinschaftliche Lernatmosphäre wird unterstützt, indem oft Formulierungen mit „wir“ gemacht werden, was explizit macht, dass die gesamte Klasse als Verband ein Interesse an allen Klassensprachen hat.(5)

Weiterführende Möglichkeiten

Die hier bearbeiteten Redemittel könnten Lehrpersonen auch mit Redemitteln aus dem Kindergarten- oder Schulalltag ergänzen: «Ich möchte in der Puppenecke spielen.» «Kannst du mir helfen?» usw.
 

Wenden Lehrpersonen die eingeführten Redemittel im Unterricht immer wieder an, z.B. indem sie die Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Sprachen begrüssen oder sich in unterschiedlichen Sprachen bedanken, integrieren sie die Sprachenvielfalt zudem nachhaltiger im Unterricht. Oder sie greifen neue Redemittel in verschiedenen Sprachen in der beschriebenen Weise auf, was ebenfalls eine nachhaltige Wirkung bzgl. Sprachenvielfalt hat.


  1. (1) vgl. Bredthauer, 2019, S. 132.

  2. (2) vgl. Fürstenau, 2020.

  3. (3) vgl. Mehlhorn, 2013, S. 114.

  4. (4) vgl. Bredthauer, 2018.

  5. (5) vgl. Fürstenau, 2020, S. 159.

Materialien und Links

Nodari, C., Neugebauer, C. & Bolliger, U. (2004). Pipapo: Deutsch für fremdsprachige Kinder und Jugendliche 1. Buchs: Lehrmittelverlag des Kantons Aargau.

-> Kapitel 2, Seite 20 «Poster der Wochentage»

Verwendete Literatur

Bredthauer, S. & Engfer, H. (2018). Natürlich ist Mehrsprachigkeit toll! Aber was hat das mit meinem Unterricht zu tun? In edu-pub: das Kölner Open-Access-Portal für die LehrerInnenbildung (S. 1–20). Abgerufen von www.kups.ub.uni-koeln.de (08.09.2021). 

 

Bredthauer, S. (2019). Sprachvergleiche als multilinguale Scaffolding-Strategie.
Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht (ZIF), 24 (1), 127–143.

 

Fürstenau S., Çelik Y. & Plöger S. (2020). Language Comparison as an Inclusive Translanguaging Strategy: Analysis of a Multilingual Teaching Situation in a German Primary School Classroom. In Panagiotopoulou J., Rosen L., Strzykala J. (Hrsg.), Inclusion, Education and Translanguaging. Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften (S. 145–162). Wiesbaden: Springer VS.

 

García, O., Johnson, S. I. & Seltzer, K. (2017). The Translanguaging Classroom: Leveraging student bilingualism for learning. Philadelphia: Caslon.

 

Mehlhorn, G. (2013). Slawische Sprachen als Tertiärsprachen – Potenziale für den Sprachvergleich im Fremdsprachenunterricht. In Rothstein, B. (Hrsg.), Sprachvergleich in der Schule (S. 111–136). Esslingen: Schneider.

Dominique Braun
Dozentin, PH Zug

Sprachen sichtbar machen

Eine Schulkultur, die alle Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennt und wertschätzt, macht diese Sprachen sichtbar:

Mehrsprachigkeit als Normalität

Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit bezieht alle Sprachen der Schülerinnen und Schüler selbstverständlich mit ein. Sie ermöglicht ihnen Sprachbegegnungen und lässt sie über Sprache nachdenken:

Erstsprachen fördern

Nicht-deutsche erstsprachliche Kompetenzen und jeweilige bildungssprachliche Fähigkeiten können auch in der Regelklasse gefördert werden, idealerweise in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen des Unterrichts in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK):

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