Das Goldbuch begleitet die Kinder durch ihre gesamte Kindergarten- und Primarschulzeit. Es zeigt auf, was die Kinder in dieser Zeit lernen, erleben und reflektieren. Dadurch enthält es einen ganzheitlichen Blick auf die Lernenden und fokussiert auf deren Ressourcen.

Text: Dominique Braun
Idee: Das «Goldbuch» ist als «Ich-bin-ich-Buch» in einem QUIMS-Projekt (1) in der Schule Grünau, Zürich entstanden.

Empfohlen für Zyklus 1, 2 und 3

 

Beschreibung der Idee

Mit geschlossenen Augen lassen die Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse den Ausflug in die Naturschule am vergangenen Tag nochmals Revue passieren. Die Lehrerin erzählt von der Hin- und Rückreise und davon, was sie erlebt, gesehen und gelernt haben.
 

Nun sollen alle für das Goldbuch einen kurzen Bericht über den Ausflug schreiben. Dazu repetiert die Lehrerin zusammen mit den Kindern nochmals die Teile eines Berichts: Der Titel, die Einleitung, die Schilderung der Erlebnisse und der persönliche Schluss. Dann machen sich die Kinder an den Eintrag.
 

Ist eine Klasse im Berichte schreiben noch nicht so geübt, können Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler mit einem geeigneten Scaffold (Schreibplan zu Textaufbau und Formulierungen) unterstützen (vgl. Material und Links weiter unten).
 

Den fertigen Bericht kleben die Kinder ins Goldbuch und schmücken ihn mit ausgedruckten Fotos des Naturschultages.
 

«Das sind jeweils sehr schöne Deutschstunden, weil die Kinder gerne Beiträge für ihr Goldbuch schreiben und gestalten. Denn so verschwindet ihre geleistete Arbeit nicht irgendwo in einem Ordner, sondern findet Platz in einem Buch, welches von den Kindern sowie auch von den Eltern immer wieder gern angeschaut wird», sagt Gabriela Bai, Klassen- und DaZ-Lehrerin an einer 3. Klasse im Schulhaus Sihlfeld in Zürich.
 

An der QUIMS-Schule Sihlfeld führen alle Schülerinnen und Schüler ein Goldbuch. Auf jeder Stufe – Kindergarten, Unterstufe, Mittelstufe – erhalten sie ein neues Buch. Dieses wird extra für die Schule hergestellt. Es enthält dicke Seiten, damit auch Einträge mit Filzstiften möglich sind. 


Der Grundgedanke des Goldbuches ist, die Ressourcen der Kinder aufzuzeigen. Alternative Namen sind Potenzialbuch oder Ich-bin-ich-Buch, wie es an der QUIMS-Schule Grünau, an der es Gabriela Bai zusammen mit anderen Lehrpersonen und einer schulischen Heilpädagogin entwickelt hat, genannt wird. Es geht darum, die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich zu betrachten, zu erkennen, was sie gut können. Erhalten die Kinder eher offene Aufträge, was sie in ihrem Buch festhalten sollen, können die Lehrpersonen und die anderen Kinder viel über das jeweilige Kind erfahren.
 

Sind die Aufträge stärker vorgegeben, dokumentieren die Kinder mit dem Buch, was sie in der Schule erlebt haben, z.B. ein Konzert im Schulhaus anhand von Fotos oder das gemeinsame Kochen anhand eines Rezepts.
 


Rezepteintrag für Lebkuchen. Aufnahme Gabriela Bai
Rezepteintrag für Lebkuchen. Aufnahme Gabriela Bai

Viele Einträge zeigen, was die Schülerinnen und Schüler schon alles gelernt haben, z.B. ein Diplom fürs Schuhe binden, eine Anleitung zum Briefe schreiben mit einem selbstgeschriebenen Brief in einem Couvert, den Lesepass für die Hausaufgaben, ein Pass zu Übungen im Blitzrechnen oder gegenseitige Komplimente zu einem Theaterprojekt. Jeweils am Semesterende reflektiert die Klasse gemeinsam über das Gelernte. Die Sammlung dazu kommt ebenfalls ins Goldbuch:

Eintrag Semesterrückblick 1. Klasse. Aufnahme Gabriela Bai
Eintrag Semesterrückblick 1. Klasse. Aufnahme Gabriela Bai

Das Goldbuch hat dadurch einen stark wertschätzenden Charakter, weil es darauf hinweist, was die Schülerinnen und Schüler inzwischen alles können.
 

So lieben es die Kinder denn auch, in den Goldbüchern zu schmökern und sich gegenseitig vorzulesen. «Sie ziehen sich dann jeweils in verschiedene Ecken des Schulzimmers zurück. ‘Weisst du noch?’ oder ‘Hu, so habe ich da ausgesehen!’ ist dann jeweils von überall her zu hören.» erzählt Gabriela Bai. Für die Kinder seien das schöne Momente. Es sei zu spüren, dass sie sich wertgeschätzt fühlen.
 

Manchmal dokumentieren die Schülerinnen und Schüler auch einen erlebten Entwicklungsprozess, z.B. als sie im Schulzimmer Marienkäfer gezüchtet haben. Oder die ganze Klasse hält einen Lernprozess fest, z.B. wie sie eine eigene Pechgeschichte geschrieben und erweitert haben:

 

Eintrag Erarbeitung Pechgeschichte. Aufnahme Gabriela Bai
Eintrag Erarbeitung Pechgeschichte. Aufnahme Gabriela Bai

Es steckt viel Arbeit in diesem Prozess: Zu Beginn hat die Klasse basierend auf Textbauplänen aus HOPPLA 3 (2) viele angeleitete Pechgeschichten geschrieben. Anschliessend haben die Schülerinnen und Schüler mit dem inzwischen verinnerlichten Scaffold eigene Pechgeschichten entworfen, überarbeitet und ins Reine geschrieben.
 

In Form von Modelling hat die Lehrerin den Text einer einfachen Pechgeschichte erweitert, um sie detailreicher und spannender zu machen. Danach waren die Schülerinnen und Schüler an der Reihe. Sie erweiterten ihre einfache Geschichte ebenfalls, indem sie die ursprünglichen Sätze auseinanderschnitten und dazwischen ergänzten.
 

Dieser aufgezeigte Prozess macht sichtbar, dass hinter den verfassten Berichten, Geschichten, Briefen und Reflexionen komplexe Arbeitsschritte und viel Engagement stehen. Auch die Eltern erhalten so einen vertieften Einblick in die vielen Teilschritte eines Prozesses.
 

Reflexionen haben ebenfalls einen wichtigen Platz im Goldbuch. Nach einem Projekt blicken die Schülerinnen und Schüler beispielsweise zurück und überlegen sich folgendes:
 

-         Das habe ich zu den Schmetterlingen neu gelernt:

-         Gefallen hat mir, dass…

-         Schwierig war, dass…  
 

Manchmal geben auch die Eltern eine Rückmeldung im Goldbuch: Die Kinder erhalten die Wochenhausaufgabe, mit den Eltern zusammen das Goldbuch durchzusehen und zu mindestens drei ausgewählten Seiten detailreich zu erzählen. Anschliessend schreiben die Eltern ihrem Kind eine wertschätzende Rückmeldung ins Goldbuch. «Diese Möglichkeit wird von den Eltern sehr geschätzt», weiss Gabriela Bai.
 

Das Goldbuch bietet zudem eine gute Möglichkeit, um in Elterngespräche einzusteigen. Die Kinder suchen dann jeweils drei Seiten aus, die sie den Eltern zeigen möchten. Dadurch können die Lehrpersonen auch in schwierigen Situationen eine anerkennende Grundstimmung schaffen. Die Eltern sehen auch positive Aspekte aus der Schule und können erkennen, dass auch die Lehrpersonen diese sehen.


So kann es gelingen
 

Einträge erarbeiten
 

Die Einträge im Goldbuch sind mehrheitlich schön gestaltete und korrekt geschriebene Endprodukte. Vor diesen gelungenen Einträgen steht ein intensiver und didaktisch durchdachter Arbeitsprozess. Die Lehrpersonen arbeiten mit Scaffolds, Modelling und lernförderlichen Rückmeldungen, um ihre Schülerinnen und Schüler für Einträge in dieser Art zu befähigen.
 

Durch die Arbeit mit dem Goldbuch erweitern die Kinder auch ihre gestalterischen Kompetenzen. Damit dies funktioniere, sei es wichtig, dass sie experimentieren und ausprobieren dürften, z.B. Fotos schräg oder übereinander aufkleben, verschiedene Stifte und Schriften ausprobieren etc. 

Den Grundgedanken des Buches ausweiten


Wollen Schulen die Einzigartigkeit der Schülerinnen und Schüler im Goldbuch stark hervorheben, braucht es offen formulierte Aufträge. Denkbar wäre auch, dass weitere Personen etwas über eine Schülerin oder einen Schüler ins Goldbuch schreiben, z.B. der Fussballtrainer, Mitarbeitende aus der Betreuung, die HSK-Lehrperson oder die Bibliothekarin.
 

Nicht alle Lehrpersonen geben das Goldbuch gerne aus dem Schulzimmer. Sie fürchten, dass es dann nicht mehr schön zurückkommt. Hilfreich sind hier die vorhandenen Schachteln, in die die Bücher für den Transport verpackt werden können. Sie stehen im Teamzimmer und können von allen Klassen mit einer vorgängigen Reservation genutzt werden. Auf der Mittelstufe haben einige Klassen Hüllen für die Goldbücher genäht. So sind sie ebenfalls gut geschützt.

Regelmässige und eigenständige Einträge
 

Damit das Goldbuch einen wichtigen Platz im Alltag einnehmen kann, planen Lehrpersonen idealerweise eine fixe Zeit im Wochenablauf ein. Ein gut zugänglicher Ort für die Aufbewahrung hilft ebenfalls. Letzteres unterstützt zudem eigenständige und spontane Einträge der Kinder.
 

Wollen Lehrpersonen eigenständige Einträge fördern, müssen sie diese Art von Dokumentationskultur sorgfältig aufbauen. Die Schülerinnen und Schüler müssen beispielsweise erkennen, dass ihnen gerade etwas besonders gut gelungen ist und sie das Produkt ins Goldbuch kleben könnten.

Reflexionen
 

Reflexionen über das eigene Lernen können die meisten Schülerinnen und Schüler nicht einfach selbständig verfassen. Hier braucht es Gespräche mit den Lehrpersonen, die Fragen zum Prozess stellen und ein echtes Interesse am Lernen der Kinder zeigen. Zudem brauchen die Schülerinnen und Schüler sprachliche Mittel, um über das eigene Lernen zu sprechen. An der Schule Sihlfeld lernen die Kinder bereits im Kindergarten die Redemittel «Gefallen hat mir, dass…» und «Schwierig war, dass…» kennen. Sie üben sie beispielsweise wiederholt beim Erzählen über das Freispiel. In den abnehmenden Klassen greifen die Lehrpersonen diese Redemittel wieder auf. Es braucht in einer Schule also auch Absprachen, damit Reflexionen sprachlich gelingen. 

Einbezug der Eltern
 

Das Goldbuch bietet eine gute Verbindungsmöglichkeit zwischen Elternhaus und Schule. Die Eltern sehen anhand der Goldbucheinträge, was ihr Kind erlebt, wofür es sich im schulischen Umfeld interessiert und wie es sich entwickelt. Sie selbst werden von den Lehrpersonen dazu ermuntert, ihr Kind mit seinen vielfältigen Facetten durch einen Eintrag im Goldbuch zu würdigen. Damit möglichst alle Eltern einen Eintrag machen können, könnten Lehrpersonen die Eltern darauf hinweisen, dass Einträge in der eigenen Erstsprache willkommen sind, dass auch gezeichnet und geklebt werden darf. Wichtig ist zudem, dass die Lehrpersonen alle Einträge würdigen, auch wenn sie unterschiedlich ausfallen.
 

Möglich ist auch, den ersten Elternabend für einen ersten Eintrag der Eltern zu nutzen. So können die Lehrpersonen den Eltern den Stellenwert des Goldbuchs näherbringen und unterschiedliche Arten von Einträgen aufzeigen.  


 

  1. (1) QUIMS steht für Qualität in multikulturellen Schulen und ist ein Schulprogramm im Kanton Zürich, das Schulen mit einer ausgeprägt heterogenen Schülerschaft finanziell und fachlich  unterstützt  www.zh.ch/de/bildung

    (2) vgl. HOPPLA-Arbeitsheft, 2012, S. 16.

Materialien und Links

Folgende Schulen arbeiten ebenfalls mit einem Goldbuch, mit anderer Bezeichnung:

Unterlagen zur Arbeit mit Scaffolds beim Schreiben von Texten sind auf folgenden Websites zu finden:

Online Lerneinheit Schreibpläne von Büchel 2022: https://tiny.phzh.ch/schreibplaene --> Kapitel 6.1 Erlebnisberichte

Netzwerk Sims: https://netzwerk-sims.ch/unterrichtsmaterialien-2/

--> Bericht über die Besichtigung des Flughafens (ab 4. Klasse)

--> Rückblick auf Erlebnisse aus dem Schulalltag (ab 1. Klasse)

 
 

Verwendete Literatur
 

Bai, G., Neugebauer, C., Nodari, C. & Peter, S. (2012). HOPPLA. Deutsch für mehrsprachige Kindergruppen 3. Arbeitsheft. Bern und Zürich: Schulverlag plus und Lehrmittelverlag Zürich.

 

Bai, G., Neugebauer, C., Nodari, C. & Peter, S. (2012). HOPPLA. Deutsch für mehrsprachige Kindergruppen 3. Kommentar mit CD-ROM. Bern und Zürich: Schulverlag plus und Lehrmittelverlag Zürich.

Kontakt


Gabriela Bai, Klassen- und Daz-Lehrerin,
Schule Sihlfeld Zürich  
Mail schicken

Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
Mail schicken

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