Mit einem sprachbewussten Unterricht vermitteln Lehrpersonen gezielt Begriffe und Redemittel, die ihre Schülerinnen und Schüler benötigen, um am Unterricht partizipieren zu können. Wie dies bereits im Kindergarten beispielsweise anhand wiederkehrender Sprechanlässe möglich ist, zeigen wir im folgenden Beispiel.

Text: Dominique Braun
Idee: Maja Beutler, Kindergartenlehrperson, Schule Sihlfeld Zürich
Empfohlen für Zyklus 1

Beschreibung der Idee



Sind alle da?


Wie in vielen Kindergärten findet auch im Kindergarten Erismannhof in Zürich ein Zählritual statt, um zu wissen, wie viele Kinder anwesend sind und wer fehlt. Es sind 41 Kinder, weil die beiden benachbarten Kindergärten zusammenarbeiten. Ada(1) beginnt: «Ich zähle auf dem Kopf.»
Emir spiegelt: «Ada zählt auf dem Kopf.»
Alternativ könnte Ada auf der Schulter oder auf dem Fuss zählen. Nun zählt sie also die Kinderköpfe und kommt auf 38. Ab 20 ist es für sie etwas schwieriger und die Klasse zählt im Chor mit. An der Wand hängt eine grosse Tafel mit allen Namen. Dort hängt Lina die Zahl 38 hin.


Tafel mit allen Namen. Aufnahme Maja Beutler
Tafel mit allen Namen. Aufnahme Maja Beutler

Dann zählt sie nach der markierten Zahl weiter: «39, 40, 41» und überlegt, wie viele Kinder fehlen: «Heute fehlen drei Kinder.» Im nächsten Schritt geht es um die Ordinalzahlen. Lina legt drei Markierungen auf eine Zahlenleiste.

Zahlenleiste zur Markierung der Ordinalzahlen. Aufnahme Maja Beutler
Zahlenleiste zur Markierung der Ordinalzahlen. Aufnahme Maja Beutler

Sie sagt: «Das erste Kind heisst Anna.» Fabio ergänzt: «Anna ist ein Mädchen der Gruppe rot.» Dann folgt ein Vers, mit dem Anna liebe Grüsse geschickt werden. Auf der Namenstafel an der Wand markiert Emine, dass Anna heute abwesend ist. Es geht weiter: «Das zweite Kind heisst Samir.» Fabio ergänzt: «Samir ist ein Junge der Gruppe blau.» Und wieder folgt der Gruss an Samir. Dasselbe mit dem dritten Kind: «Das dritte Kind heisst Mirko.» «Mirko ist ein Junge der Gruppe rot.»
 

Durch die sprachliche Begleitung des Rituals hören die Kinder täglich die selben (bildungssprachlichen) Begriffe und Redemittel und wenden diese an:

  • Natürliche Zahlen bis 40

  • Ordinalzahlen: erste, zweit, dritte (evtl. weitere)

  • Körperteile: Kopf, Schulter, Fuss

  • Ich zähle mit…

  • Sie/Er zählt mit…

  • Das erste Kind heisst…

  • Das zweite Kind heisst…

  • Das dritte Kind heisst…


     

Die Kindergartenlehrperson Maja Beutler hat das im Kindergarten übliche Zählritual auf die Ordinalzahlen ausgedehnt, weil sie realisiert hat, dass diese insbesondere Kindern mit Deutsch als Zweitsprache schwerfallen, sie aber für das mathematische Sprechen und Verständnis in der Schule wichtig sind.
 

Eine weitere bildungssprachliche Kompetenz (vgl. Gelingensbedingungen), die die Kinder mit diesem Ritual lernen, ist die Orientierung auf der Namenliste. Auf der Liste stehen alle Namen mit dem jeweiligen Symbol eines Kindes. Zudem ist mit farbigen Punkten, Dreiecken und Quadraten vermerkt, zu welcher Gruppe ein Kind gehört.

Scaffolds für Bericht zu Freispiel. Aufnahme Maja Beutler
Scaffolds für Bericht zu Freispiel. Aufnahme Maja Beutler

 

Was gefällt mir im Freispiel?


Der Kindergartenvormittag ist bald zu Ende. Die Kinder versammeln sich nochmals im Kreis und berichten, was ihnen im Freispiel gefällt und was nicht. Den Lehrpersonen ist es wichtig, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, sich zu äussern. Deshalb berichten die Kinder anhand von Scaffolds in einem Erzählritual. Auf dem Boden liegen laminierte Strukturierungshilfen (Scaffolds) und eine grosse Auswahl an Fotos der Freispielmöglichkeiten. Beides unterstützt die Kinder beim Sprechen. Die Lehrpersonen führen das Ritual bewusst mit allen Kindern im Kreis durch. So können diejenigen, die sich noch nicht sicher fühlen, viele Male zusehen und zuhören. Das verleiht ihnen Sicherheit.

Das erzählende Kind hüpft von Hilfe zu Hilfe und sagt: «Ich heisse Mehmet. Ich spiele sehr gerne (gerne/nicht gerne) Kapla.»
 

Ein sprachlich stärkeres Kind spiegelt: «Du heisst Mehmet. Du spielst sehr gerne mit den Kapla.»
 

Ist der Satz komplizierter, z.B. «Ich heisse Mehmet. Ich spiele nicht gerne Mal-Ecke», lässt die Kindergartenlehrperson dies – zumindest zu Beginn – so stehen. Vom spiegelnden Kind erwartet sie hingegen den korrekten Satz: «Du heisst Mehmet. Du spielst nicht gerne in der Mal-Ecke.» Dadurch wird das erste Kind implizit korrigiert.
 

Die Kindergartenlehrperson ist immer wieder sprachliches Modell, indem sie die Sätze vorspricht oder korrekt wiederholt. Die Aussagen der Kinder bestärkt sie positiv. Das gibt Sicherheit. Manchmal schaut ein Kind fragend zur Lehrperson. Auch dann unterstützt sie, indem sie das gesuchte Wort vorspricht.
 

Zweimal pro Woche erzählen so mehrere Kinder über ihre Vorlieben und Abneigungen im Freispiel.
 

Um es für die älteren Kinder interessanter zu machen und um die bildungssprachlichen Kompetenzen auszubauen, hat Maja Beutler ein zweites Ritual entwickelt. Dies führt sie einmal wöchentlich mit der älteren Kindergruppe durch.

Die Kinder tragen während des Freispiels ein kleines Umhängetäschchen, gefüllt mit Wäscheklammern.

Bei jedem Wechsel befestigen sie eine neue Wäscheklammer am Täschchen. Am Ende des Vormittags sehen sie so, an wie vielen Orten sie gespielt haben. Auch in diesem Ritual berichten sie anhand von Scaffolds.

Maria befestigt drei Wäscheklammern auf der obersten Strukturierungshilfe, wählt das passende Freispielbild aus und befestigt das korrekte Würfelbild an der dafür vorgesehenen Stelle. Dann berichtet sie:
 

Täschchen mit Wäscheklammern. Aufnahme Maja Beutler
Täschchen mit Wäscheklammern. Aufnahme Maja Beutler

«Heute habe ich an drei verschiedenen Orten gespielt.
 

Sehr gerne habe ich mit den Bauklötzen gespielt.
 

Dort war ich mit zwei Kindern, nämlich mit Anna und Maria.
 

Toll war, dass ich mit meinen Freundinnen spielen konnte.»
 

Oder, falls das Kind nicht gerne mit den Klötzen gespielt hat: «Schwierig war, dass der Turm immer umgefallen ist.»

Scaffolds für Bericht zu Freispiel. Aufnahme Maja Beutler
Scaffolds für Bericht zu Freispiel. Aufnahme Maja Beutler

Auch mit diesem Ritual hören alle Kinder regelmässig Zahlenbegriffe und Spielorte. Zudem lernen sie die Nebensatzkonstruktion mit «dass» kennen. Mit den Verbindungswörtern «dort» und «nämlich» verbinden sie die Sätze zu einem zusammenhängenden Bericht. Daran können die Lehrpersonen auf den abnehmenden Stufen anknüpfen.
 

Die unterstützenden Scaffolds hat die Lehrperson bewusst untereinander aufgehängt. So erzählen die Kinder von oben nach unten und üben dadurch bereits die Leserichtung auf einem Blatt oder auf einer Buchseite, ebenfalls eine bildungssprachliche Kompetenz.
 

Manchmal möchte die Lehrperson noch mehr zum Freispiel erfahren. Dafür steht eine weitere Visualisierung zur Verfügung.

Zum Beispiel:
 

Yasin: Toll war, dass ich mit Ledri gespielt habe.

Lehrperson: Erzähle mir bitte Genaueres.
 

Yasin: Mir händ ebe mit de Lego en Roboter bout.
 

Visualisierung für genaueren Bericht. Aufnahme Maja Beutler
Visualisierung für genaueren Bericht. Aufnahme Maja Beutler

Die letzten beiden Sätze (Toll war, dass… und schwierig war, dass…) greifen die Lehrpersonen auch in anderen Kontexten wieder auf. So reflektieren die Kinder beispielsweise über ihre Rolle als Kodexkind (eine Form von Peacemaker) anhand dieser Sätze.

Reflexion zu Rolle Kodexkind. Aufnahme Maja Beutler
Reflexion zu Rolle Kodexkind. Aufnahme Maja Beutler

Wiederkehrende Beschriftungen


Im Kindergarten Erismannhof ist sehr viel visualisiert, mit Bildern und Beschriftungen. Dadurch lernen die Kinder Informationen zu lesen und zu kombinieren. Die Beschriftungen können die Kinder mit Hilfe eines Anybook-Stifts auch hören, so oft sie wollen.
 

Beispielsweise ist über jedem Garderobenhaken ein kleiner Wochenplan angebracht. Darauf ist gekennzeichnet, wann das Kind den Hort besucht.

Anhand des Wochenplans lernen die Kinder, einen Plan zu lesen und sich in einer Tabelle zu orientieren.

Oder neben den Wäscheklammern, die der Auswahl des Freispiels dienen, steht der Satz: Befestige dein «Klüppli» am Klüpplibrett.

Wochenplan. Aufnahme Maja Beutler
Wochenplan. Aufnahme Maja Beutler
Redemittel mit Punkt für Anybook-Stift. Aufnahme Maja Beutler
Redemittel mit Punkt für Anybook-Stift. Aufnahme Maja Beutler

Diese Beschriftungen unterstützen auch die Lehrpersonen darin, immer dieselben Begriffe und Redemittel zu verwenden. Dafür mussten sie sich absprechen. So formulieren sie den Auftrag «Befestige dein Klüppli am Klüpplibrett» immer genau mit dieser Formulierung und nicht z.B. «Hänge das Chlämmerli dort hin.»
 

Die Rituale, Arbeitsaufträge und Reflexionen sind dadurch sprachlich ritualisiert. Dies befähigt insbesondere sprachschwächere Kinder, möglichst bald sprachlich aktiv partizipieren zu können. Sie hören immer wieder dieselben Redemittel und erhalten anhand der Scaffolds ein sprachliches Gerüst, an dem sie sich orientieren können.
 

Die genaue Absprache erfolgt auch bei Themen und über die Kindergartenstufe hinaus mit den Lehrpersonen der abnehmenden Stufe. Die Redemittel «Toll war, dass…» und «Schwierig war, dass…» nehmen die Lehrpersonen beispielsweise beim Schreiben von Berichten wieder auf (vgl. Idee Goldbuch). Auch das Redemittel «Ein Kind spiegelt» führen die Kindergartenlehrpersonen ein, später wird es in der Schule wieder verwendet.

So kann es gelingen

Sprache brauchen wir überall im Kindergartenalltag. Nicht alle Schülerinnen und Schüler verfügen über die notwendigen sprachlichen Mittel, um dem Unterricht folgen zu können und an ihm partizipieren zu können. Dabei geht es nicht darum, dass die Schülerinnen und Schüler grundsätzlich über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, sondern dass sie nicht über die in der Schule erwarteten sprachlichen Mittel verfügen. Wir sprechen dann von bildungssprachlichen Kompetenzen (vgl. weiter unten).
 

Sind sich Lehrpersonen über diesen Umstand bewusst, können sie ihren Unterricht sprachbewusst oder sprachsensibel planen und gestalten.

Sprachbewusster und sprachsensibler Unterricht verfolgen ähnliche Ziele, setzen aber einen jeweils anderen Fokus:

Beim sprachbewussten Unterricht fokussieren Lehrpersonen auf das fachliche Lernen und pflegen gleichzeitig einen bewussten Umgang mit der verwendeten Sprache. (2) Oder anders formuliert, die Lehrpersonen unterstützen die Lernenden dabei, mögliche sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden, so dass diese den fachlichen Inhalten nicht im Wege stehen. (3)
 

Beim sprachsensiblen Unterricht fokussieren Lehrpersonen auf das sprachliche Lernen anhand der verschiedenen Fachinhalte. (4)

Wir verwenden im Folgenden den Begriff sprachbewusster Unterricht.
 

Ziel eines sprachbewussten Unterrichts ist es somit, dass alle Schülerinnen und Schüler am Unterricht partizipieren können und dass sie dabei ihre bildungssprachlichen Kompetenzen verbessern können.

Bildungssprache spielt in der Schule eine wichtige Rolle. So erfolgt die schulische Kommunikation häufig in der Bildungssprache. Deren Anwendung ist für Lehrpersonen selbstverständlich, weshalb sie sich manchmal nicht darüber bewusst sind, dass einige Schülerinnen und Schüler darauf angewiesen sind, bildungssprachliche Kompetenzen in der Schule erwerben zu können.

Bildungssprache ist diejenige Sprache, die notwendig ist, um kognitiv anspruchsvolles Wissen zu vermitteln. Sie gilt als Werkzeug des Denkens, weil wir mit ihr abstraktes und kontextunabhängiges Wissen formulieren können. (5)
 

„Bildungssprachliche Äusserungen sind durch raum-zeitliche Distanz geprägt. Um diese Distanz zu überwinden, sind sprachlich komplexe Strukturen notwendig, (…)“ (6).

Bildungssprache enthält viele Fachbegriffe, Adjektive mit den Endungen -bar, -los, -reich; substantivierte Infinitive; Verben mit Vorsilben; abstrakte und zusammengesetzte Wörter; komplexere Sätze; unpersönliche und passive Konstruktionen usw. Solche bildungssprachlichen Kompetenzen brauchen Schülerinnen und Schüler auch in bestimmten Sprachhandlungen, die im Alltag nicht vorkommen, wie beispielsweise eine Liste/Tabelle lesen oder etwas präsentieren. (7)
 

Bildungssprache wird mit Bezug auf den kanadischen Bildungsforscher Jim Cummins auch in Abgrenzung zu Alltagssprache beschrieben. Dieser hat unterschieden in:

  • alltagssprachliche Kompetenzen (BICS: basic interpersonal communicativ skills) und

  • kognitiv-schulische Sprachkompetenzen (CALP: cognitiv academic language proficiency). (8)


Alltagssprachliche Kompetenzen erwerben wir in erster Linie durch soziale Kontakte. Wir benötigen sie, um an Alltagsgesprächen teilzunehmen, Notizen auf einen Zettel zu schreiben oder nach dem Weg zu fragen. Bildungssprachliche Kompetenzen sind für komplexere Sprachleistungen erforderlich, z.B. um strukturiert über etwas zu berichten. (9)
 

Die Alltagssprache (BICS) entspricht eher einer konzeptionell mündlichen Sprache. Sie ist situations- und kontextgebunden, weist einfache Satzstrukturen sowie eine geringe Dichte an Informationen und Nomen auf. Und sie hat einen dialoghaften Charakter. Die Bildungssprache (CALP) hingegen entspricht eher einer konzeptionell schriftlichen Sprache. Sie weist eine hohe Informations- und Nomendichte auf, enthält Komposita und Nominalisierungen, Nebensatzstrukturen und unpersönliche Formen. Sie ist situationsungebunden und kontextunabhängig. (10)
 

Die Unterscheidung in BICS und CALP wurde mit dem Konzept der Textkompetenz noch stärker ausdifferenziert. (11)
 

Manchmal lesen oder hören wir auch den Begriff «Schulsprache». Dieser Begriff bezieht sich stärker auf die Institution Schule als der Begriff «Bildungssprache». Er umschreibt die schulspezifischen sprachlichen Normen und Praktiken. Es handelt sich somit um einen etwas engeren Begriff, der nur einen Ausschnitt der Bildungssprache beschreibt. (12)
 

In Bezug auf Bildungschancen besteht die Annahme, dass ein Zusammenhang zwischen Schulerfolg und vorhandener Kompetenzen in konzeptioneller Schriftlichkeit besteht. Schülerinnen und Schüler haben ausserhalb der Schule wenige Möglichkeiten, um sich mit der konzeptionellen Schriftlichkeit auseinanderzusetzen, weshalb sie darauf angewiesen sind, diese in der Schule zu erlernen. (13)
 

Es sind nicht ausschliesslich geschriebene Texte, die konzeptionell schriftlich sind. Auch wenn Schülerinnen und Schüler mündlich über ihre Erfahrungen im Freispiel berichten, kann dieser Bericht konzeptionell schriftlich sein. Je mehr zeitliche und räumliche Distanz zum beschriebenen Gegenstand (hier Spielort/Spielerfahrung) vorliegt, desto mehr bewegt sich ein Bericht, eine Erzählung usw. in Richtung konzeptioneller Schriftlichkeit. (14) Umgekehrt kann auch ein schriftlicher Text konzeptionell mündlich sein, z.B. eine SMS.
 

Für die Bildungssprache sind auch „kleine Wörter“ von Bedeutung. Es handelt sich dabei z.B. um Konjunktionen (und, obwohl…), Strukturwörter (zunächst, schliesslich…) oder Partikel (überhaupt, gerade, aber…). Solche Wörter sind entscheidend, ob Schülerinnen und Schüler einen Text verstehen oder einen zusammenhängenden Text formulieren können. (15) Es geht also nicht nur darum, ob die Lernenden diese Begriffe verstehen, sondern v.a. darum, dass sie sie adäquat anwenden können. (16)

Sind sich Lehrpersonen darüber bewusst, dass es ihre Aufgabe ist, den Lernenden bildungssprachliche Kompetenzen zu vermitteln, können sie Bildungschancen ermöglichen. Das bedeutet, dass Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern beispielsweise zeigen, wie sie von ihren Erfahrungen im Freispiel berichten oder wie sie ein Plakat zu einem selbstgewählten Thema gestalten können.
 

Erwarten Lehrpersonen hingegen (implizit) von ihren Schülerinnen und Schülern, dass diese ohne Weiteres über bildungssprachliche Kompetenzen verfügen, kann dies zu Bildungsbenachteiligungen führen. Dies passiert v.a. dann, wenn die erwarteten Kompetenzen bewertet werden. (17)
 

Zusätzlich hilfreich ist, wenn sich Lehrpersonen darüber bewusst sind, wann Unterrichtssequenzen in Alltagssprache stattfinden, z.B. während des Freispiels, und wann in Bildungssprache, z.B. beim Erzählen über das Freispiel. Diese Unterscheidung machen sie für die Schülerinnen und Schüler transparent, so dass diese wissen, wann von ihnen erwartet wird, dass sie Bildungssprache verwenden. (18)

Bildungssprachliche Äusserungen können Lehrpersonen auch in Mundart formulieren. Die Überlegungen, wie sie etwas stärker in Richtung Bildungssprache formulieren können, müssen Lehrpersonen aber möglicherweise bewusster angehen, als wenn sie in Standardsprache sprechen. Bezogen auf den Satz «Dort war ich mit zwei Kindern, nämlich mit Anna und Maria.» aus der beschriebenen Idee, würde dies z.B. heissen, dass Lehrpersonen die Verbindungswörter «dort» und «nämlich» auch in der Mundartvariante bewusst einbeziehen.

Die Planung ist zentraler Bestanteil eines sprachbewussten Unterrichts. Lehrpersonen analysieren dabei eine Unterrichtseinheit in Bezug auf Sprachhandlungen und wesentliche sprachliche Elemente. Daraus leiten sie ab, welche sprachlichen Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler gestellt werden: Welche sprachlichen Handlungen (sogenannte Operatoren) müssen sie anwenden können, um am Unterricht partizipieren zu können? Welchen (Fach)Wortschatz und welche Redemittel brauchen sie dazu?
 

Daraus leiten die Lehrpersonen weiter ab, welche (sprachliche) Einführung und Unterstützung notwendig ist. Und sie überlegen sich vielfältige Gelegenheiten, in denen die Schülerinnen und Schüler sprachlich handeln können.

Zu den Operatoren gehören sprachliche Handlungen (mündlich oder schriftlich) wie beschreiben, erklären, interpretieren, skizzieren etc. Die Kompetenzbeschreibungen im Lehrplan 21 enthalten sehr viele solcher Operatoren. (19)
 

Zur Planung eines sprachbewussten Unterrichts gehört, dass Lehrpersonen sich bewusst machen, über welche Operatoren die Schülerinnen und Schüler verfügen müssen, um am Unterricht partizipieren zu können.

Die Planung unterstützt die Lehrpersonen auch darin, ein sprachliches Modell zu sein und korrektives Feedback zu geben. Und sie macht es ihnen einfacher, zwischen fachlicher und sprachlicher Leistung zu differenzieren.
 

Als Hilfe für diese komplexe Unterrichtsvorbereitung ist ein Planungsrahmen hilfreich (vgl. Kopiervorlage in Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 140; vgl. auch Materialien und Links).
 

Idealerweise überlegen sich Lehrpersonen in dieser Planungsphase auch, wie ein schriftlicher oder mündlicher Zieltext der Schülerinnen und Schüler aussehen soll. Im obigen Beispiel geht es darum, mit welchen Begriffen und Sätzen die Schülerinnen und Schüler die anwesenden Kinder zählen oder von ihrem Freispiel berichten. Dadurch erkennen Lehrpersonen, welche Begriffe und Redemittel die Schülerinnen und Schüler kennen müssen, um einen solchen Text zu formulieren. Zudem erkennen sie, was Schülerinnen und Schüler über den Aufbau eines Textes (hier mündlich) wissen müssen, um das Ziel zu erreichen. Diesen zweiten Aspekt müssen Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern ebenfalls vermitteln (vgl. Gelingensbedingung Scaffolds).
 

Auf die sprachliche Analyse der geplanten Unterrichtssequenz oder des geplanten Themas folgt die Diagnose der sprachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler. Dabei berücksichtigen Lehrpersonen idealerweise auch die mehrsprachigen Ressourcen ihrer Schülerinnen und Schüler. (20) Sie überlegen beispielsweise, ob es einigen Lernenden dienen würde, wenn sie einen Sachverhalt in ihrer Erstsprache formulieren könnten. Oder sie überlegen, welche bildungssprachlichen Kompetenzen die Lernenden bereits in einer anderen Sprache als Deutsch (vgl. Bildungssprache und Mehrsprachigkeit) mitbringen. Die Zusammenarbeit mit HSK-Lehrpersonen (Lehrpersonen für Heimatliche Sprache und Kultur) kann dabei unterstützen (vgl. Ideen «Bildungssprachliche Kompetenzen» und «Erstsprachen integriert»).

Scaffolds unterstützen die Schülerinnen und Schüler in ihren Sprachhandlungen. Sie bieten ein Gerüst, so dass die Lernenden erwartete Formulierungen in der erwarteten Form eines Textes (mündlicher Bericht) produzieren können.

Scaffolds können z.B. Bilder sein, mit Hilfe derer die Lernenden über etwas erzählen. Scaffolds können auch Abschnitte eines Textes (mündlicher Bericht) benennen. Dadurch wissen die Schülerinnen und Schüler wie ein spezifischer Text aufgebaut ist. Oder Scaffolds sind kleinschrittige Aufträge, die die Schülerinnen und Schüler durch eine Aufgabe führen. Das Gerüst wird nach und nach abgebaut, so dass die Lernenden die Aufgaben irgendwann selbständig lösen können.

Damit Schülerinnen und Schüler bildungssprachliche Kompetenzen erwerben können, brauchen sie viele Gelegenheiten, in denen sie Bildungssprache sowohl rezeptiv als auch produktiv verarbeiten. Lehrpersonen sind dabei sprachliche Vorbilder. Das heisst, sie verwenden bewusst und konsequent diejenigen Formulierungen, die sie von den Schülerinnen und Schülern später einfordern. (21) Lehrpersonen sprechen sich idealerweise und wie oben beschrieben im Klassenteam und stufenübergreifend ab, welche bildungssprachlichen Formulierungen sie im Unterricht verwenden. Solche Absprachen gelingen eher, wenn die Schulleitung sie ideell und organisatorisch unterstützt.
 

Im beschriebenen Beispiel finden die Absprachen im Klassenteam in den wöchentlich stattfindenden Sitzungen mit der DaZ- und der IF-Lehrperson statt. Die DaZ-Lehrperson äussert sich zu den vorgeschlagenen Ideen bzgl. Redemittel oder bringt zu einem Thema eigene Vorschläge für Redemittel ein. Wichtig ist, dass sich alle beteiligten Lehrpersonen zu denjenigen Redemitteln äussern können, die sie selbst konsequent benutzen sollten. Braucht es Absprachen über die Stufen, nimmt die Kindergartenlehrperson Kontakt mit Lehrpersonen der abnehmenden Stufe auf.

Kennen Lehrpersonen die (bildungs)sprachlichen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler in deren jeweiliger Erstsprache, können sie darauf aufbauen. (22)

Dies ist deshalb bedeutsam, weil die Interdependenz-Hypothese davon ausgeht, dass bestimmte bildungssprachliche Kompetenzen nur in einer Sprache gelernt werden müssen. Es handelt sich dabei v.a. um sprachunabhängige Kompetenzen und Strategien. Können Lernende z.B. strukturiert berichten oder verfügen sie über Strategien, um einen Fachtext zu erschliessen, können sie diese Kompetenzen in jeder Sprache anwenden. Erwerben Lernende eine weitere Sprache, können sie auf diese Kompetenzen zurückgreifen. Dadurch haben sie freie Kapazität, um das tatsächlich Spezifische einer neuen Sprache zu lernen, wie Wortschatz, Grammatik, Aussprache usw. (23)
 

Das Instrument EKSON – Erfassung schulischer Kompetenzen Neuzugezogener hilft insbesondere, die (bildungssprachlichen) Kompetenzen neuzugezogener Schülerinnen und Schüler zu erkennen: https://www.eskon.ch/

Das Kompetenzzentrum FörMig (24)hat Qualitätsmerkmale für eine durchgängige Sprachbildung – vergleichbar mit sprachbewusstem Unterricht – formuliert. (25) Aus diesen Merkmalen haben Tajmel & Hägi-Mead (26) verschiedene Prinzipien für einen gelingenden sprachbewussten Unterricht abgeleitet:

  • Jede Lehrperson ist zuständig für sprachliche Bildung.

  • Sprache ist intrinsischer Bestandteil einer jeden fachlichen Unterrichtsplanung. (Planungsrahmen)

  • Bildungssprache ist Ziel und nicht Voraussetzung des Unterrichts.

  • Die Lehrperson kennt die sprachlichen Anforderungen ihres Unterrichts.

  • Die Lehrperson kennt die sprachlichen Lernziele ihres Unterrichts.

  • Der Unterricht knüpft sowohl sprachlich als auch fachlich an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler an.

  • Im Unterricht werden sprachliche Mittel zur Verfügung gestellt sowie Massnahmen ergriffen, damit alle Schülerinnen und Schüler sprachhandlungsfähig sind. (27)

  1. (1) Bei den verwendeten Namen der Kinder handelt es sich um Pseudonyme.

    (2) vgl. Schmellentin & Lindauer, 2020, S. 669

    (3) vgl. Leisen, 2011, S. 5

    (4) vgl. Schmellentin & Lindauer, 2020, S. 669

    (5) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 71–76

    (6) Gogolin et al., 2011, S. 9

    (7) vgl. Bildungsdirektion Kanton Zürich, 2017, S. 7

    (8) vgl. z.B. Neugebauer & Nodari, 2017, S. 17

    (9) vgl. ebd., S. 17

    (10) vgl. Tajmel, 2009, S. 9f.

    (11) vgl. dazu Neugebauer & Nodari, 2017, S. 18–20 mit Bezug auf Portmann-Tselikas und Schmölzer-Eibinger, 2008

    (12) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 82f. mit Bezug auf Feilke, 2012

    (13) vgl. Tajmel, 2009, S. 9f.

    (14) vgl. Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 48f.

    (15) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 26

    (16) vgl. Feilke, 2019, S. 3

    (17) vgl. Morek & Heller, 2012, S. 77–79

    (18) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 9

    (19) vgl.Nodari, 2018, S. 10–14

    (20) vgl. Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 124

    (21) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 19

    (22) vgl. Gogolin et al., 2011, S. 9

    (23) vgl. Neugebauer & Nodari, 2017, S. 17; Schader, 2011, S. 10f.

    (24) FörMig ist ein Kompetenzzentrum der Universität Hamburg, das sich seit vielen Jahren mit Fragen zu Bildung und Erziehung in sprachlich und kulturell heterogenen Konstellationen befasst. An diesem Zentrum wurde u.a. der Ansatz der «durchgängigen Sprachbildung» entwickelt. https://www.foermig.uni-hamburg.de/bildungssprache/durchgaengige-sprachbildung.html

    (25) vgl.Gogolin et al., 2011, S. 12–25
    (26) 2017

    (27) Tajmel & Hägi-Mead, 2017, S. 72

Materialien und Links

Weiterführende Literatur:

Neugebauer, C. & Nodari, C. (2017). Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen in einem mehrsprachigen Umfeld. (5. Aufl.). Bern: Schulverlag plus.

--> mit vielen Beispielen, wie Fachinhalte und Sprachförderung gleichzeitig stattfinden kann
 

Tajmel, T. & Hägi-Mead, S. (2017). Sprachbewusste Unterrichtsplanung. Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung (Bd. 9). Münster und New York: Waxmann.

-->inkl. Kopiervorlage Planungsrahmen
 

Online Lerneinheit Schreibpläne von Büchel 2022: https://tiny.phzh.ch/schreibplaene

--> Kapitel 08_Bildungssprache_Merkmale und Kapitel 08_Kleine_Woerter

Weitere Ideen zu strukturierten Sprechanlässen im Kindergarten: Netzwerk Sims: https://netzwerk-sims.ch/unterrichtsmaterialien-1-skizzen/

-->Alltagsgeschichten

-->Den Kindergarten kennenlernen

-->Personen beschreiben

-->Wir telefonieren zusammen

--> Das bin ich


Leseforum.ch 1/2023: Sprachbewusster Fachunterricht.

Weitere Beispiele: Sprachsensibel unterrichten. Die Grundschulzeitschrift. Nr. 323, Jahrgang 34. 2020.

Verwendete Literatur:

Bildungsdirektion Kanton Zürich. (2017). Fachkonzept Integrierte Sprachförderung auf der Kindergarten- und Primarstufe.  Zürich: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Volksschulamt.
 

Feilke, H. (2019). Bildungssprache. Verfügbar unter https://spracheimfach.de/bildungssprache/ Website
 

Gogolin, I., Lange, I., Hawighorst, B., Bainski, C., Heintze, A., Rutten, S. & Saalmann, W. (2011). Durchgängige Sprachbildung: Qualitätsmerkmale für den Unterricht (Bd. 3, FörMig-Material). Münster: Waxmann.
 

Leisen, J. (2011). Praktische Ansätze schulischer Sprachförderung – Der sprachsensible Fachunterricht. Vorgetragen bei: Expertentagung Begegnen, Verstehen, Zukunft sichern – Beiträge der Schule zu einem gelungenen Miteinander, Bad Staffelstein. Verfügbar unter www.hss.de/download/111027_RM_Leisen.pdf
 

Morek, M. & Heller, V. (2012). Bildungssprache – Kommunikative, epistemische, soziale und interaktive Aspekte ihres Gebrauchs. Zeitschrift für Angewandte Linguistik, 57(1), 67–101.
 

Neugebauer, C. & Nodari, C. (2017). Förderung der Schulsprache in allen Fächern. Praxisvorschläge für Schulen in einem mehrsprachigen Umfeld. (5. Aufl.). Bern: Schulverlag plus.
 

Nodari, C. (2018). Textkompetenz und dialogische Sprachverwendung. Vorgetragen bei: sims-Tagung 17. Januar 2018.
 

Schmellentin, C. & Lindauer, T. (2020). Sprachbewusster Fachunterricht – Entwicklungsperspektiven für eine interdisziplinäre Fachdidaktik. Schweizerische Zeitschrift für Bildungswissenschaften, 42(3), 669–677. DOI: 10.25656/01:21585
 

Tajmel, T. (2009). Bildungssprache in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Vorgetragen bei: Fachtagung "Bilanz und Perspektiven von FörMig Sachsen".
 

Tajmel, T. & Hägi-Mead, S. (2017). Sprachbewusste Unterrichtsplanung. Prinzipien, Methoden und Beispiele für die Umsetzung (Bd. 9). Münster und New York: Waxmann.

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